03/2010: Verbesserung der Bildungserfolge der Bielefelder Bürgerinnen und Bürger durch Aufbau eines Bildungsnetzwerkes

Inge Schulze
Inge Schulze

Inge Schulze hielt am 25.03.2010 im Rat der Stadt Bielefeld zu TOP 15 der Tagesordnung folgende Rede:

Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,
Bildung soll Voraussetzungen schaffen für mehr soziale Gerechtigkeit.

Leider ist das in Deutschland nicht der Fall. In kaum einem in der PISA-Studie untersuchten Land ist der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungschancen so groß wie in Deutschland. Unser Bildungssystem benachteiligt massiv Kinder aus sozial schwachen Familien. Daran kann nur eine Aufhebung des gegliederten Schulsystems etwas zu ändern.

 

Es ist die Abschaffung eines Systems notwendig, in dem über die Zukunftschancen von Kindern im Alter von neun Jahren entschieden wird. Denn, die Aufteilung der Kinder auf verschiedene Schultypen ist in weiten Teilen eine soziale Selektion.

Wir wissen, wenn Kinder nicht schon im Vorschulalter Lernen lernen, dann haben sie sehr schlechte Startchancen in der Schule und häufig gar keine Chance mehr, in der Regelschule lernen zu können. Über 87% aller Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen hatten in Bielefeld 2006 einen Migrationshintergrund.

Die Beendigung der sozialen Segregation in unserem Schulsystem wird vehement und dringend von den Bildungsforschern gefordert. Es passiert nichts. Angesichts dieser Herausforderung mutet es schon fast zynisch an, wenn die Notwendigkeit einer dauerhaften und strukturierten Zusammenarbeit aller Bildungsakteure mit den Ergebnissen der nationalen und internationalen Bildungsforschung begründet wird.

Macht also ein Kooperationsvertrag zwischen dem Land als zuständige Institution für die inneren Schulangelegenheiten und der Kommune mit ihrer Zuständigkeit für äußere Schulangelegenheiten und für Jugendhilfe überhaupt Sinn? Es wären radikale Veränderungen nötig, mit dem Konstrukt der Bildungsregion können im bestehenden ungerechten System nur kleine Verbesserungen erreicht werden.

Herr Oberbürgermeister, hier haben Sie und hier werden auch wir pragmatisch entscheiden. Denn wenn die regionale Vernetzung aller Akteure in der Bildungsregion dazu führt, dass die bestehenden Ungerechtigkeiten im Bildungssystem abgemildert werden können, dann ist das zwar kein großer Wurf, aber es rechtfertigt das Bildungsnetzwerk. Denn auch in Bielefeld gibt es zu viele bildungsbiografische Brüche – zu viele Kinder fallen dabei durch den Rost.

Die Kooperation von Land und Kommune, aber noch wichtiger von verschiedenen mit Bildungsfragen befassten Institutionen innerhalb der Stadt kann auf der Basis eines ganzheitlichen Bildungsbegriffs Erfolge erzielen, die allein die Schule oder allein die Jugendhilfe nicht erreichen könnten.

Kommunale Bildungslandschaften sind aber kein Selbstläufer. Die zwei im Vertrag formulierten Handlungsfelder, die für mich eher den Charakter einer überprüfbaren Zielbeschreibung haben, sind noch kein Handlungskonzept. Es liegt daher noch viel Arbeit vor allen Beteiligten.

Hier haben wir durch die Ergänzung der Vorlage der Verwaltung einige weitere Schwerpunkte gesetzt.

Wenn die Arbeit der Bildungsregion Erfolge erzielen soll, dann müssen unsere spezifischen Kenntnisse über die örtlichen Situationen verbessert werden, wir müssen Kenntnisse über die lokalen Schwierigkeiten und Unterschiede gewinnen. Nur dann können zielgerichtet Angebote entwickelt und ihre Wirksamkeit überprüft werden. Deshalb soll als erstes ein kommunaler Bildungsbericht vergleichbar dem Lebenslagenbericht, erstellt werden.

Der Bericht wird z.B. Daten liefern, die helfen können, Übergänge zwischen den verschiedenen Bildungsorten von der Kita zur GS, der GS zur weiterführenden Schule, zur gymnasialen Oberstufe oder zur beruflichen Ausbildung transparenter und effektiver zu gestalten. Das Ziel muss auch hier sein, den Kindern und Jugendlichen einen Bildungsweg ohne Brüche zu ermöglichen. Dieses Übergangsmanagement muss das Ziel haben, Klassenwiederholungen und für die Kinder noch schlimmer Abschulungen zu verhindern.

Wir haben im SchA deutlich gemacht, dass im Bildungsnetzwerk der Fokus nicht nur auf die Erhöhung der Abiturientenquote gelegt werden darf. Denn der Vergleich zwischen Bielefeld und Bonn und Münster hinkt. Herr OB, Ich stimme Ihnen zu, dass Bielefelder Kinder nicht dümmer sind als Münsteraner oder Bonner Kinder. Aber – Bildungserfolg gemessen in Schulabschlüssen ist eben nicht primär eine Frage der Intelligenz sondern der sozialen Herkunft. Und da sind die Voraussetzungen in Bonn und Münster deutlich anders als in Bielefeld. Das belegen die Sozialindexstellen, die vom Land den GS und HS zur Verfügung gestellt werden. BI bekommt an beiden Schultypen doppelt so viele Stellen zugewiesen wie BO und MS. Eine durchgehende und systematische Förderung gerade benachteiligter Kinder von der Kita bis zum Ende der Schulzeit ist notwendig, um die vorhandenen Begabungspotentiale zu nutzen.

Wenn dabei auch eine Erhöhung der Abiturientenquote erreicht wird, ist das sehr erfreulich. Die reale Entwicklung ist aber leider eine andere. Die Einführung von G8 dient eher als Mittel zur Festigung der sozialen Selektion. Denn nur 20% der Schülerinnern und Schüler in G8 kommen ohne Unterstützung zu recht, alle anderen werden massiv von den heimlichen Lehrerinnen, in der Regel den Eltern unterstützt, um mithalten zu können. Dieser Entwicklung kann auch kein Bildungsbüro gegensteuern.

Auf der anderen Seite wissen wir, dass es Gesamtschulen gelingt, Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Schichten und auch Schülerinnen und Schülern aus Familien mit Migrationshintergrund zum Abitur zu führen. Aber gerade diese Schulform findet nicht die Unterstützung der Landesregierung und wird deshalb wahrscheinlich auch in der Bildungsregion keine zentrale Rolle spielen.

Herr OB, die Zusammenarbeit zwischen Kommune und Bezirksregierung in der Bildungsregion basiert auf dem Konsensprinzip. Man kann dieses Konstrukt als Chance verstehen, es kann sich aber auch als ein Klotz am Bein herausstellen, wenn im Zuge der Arbeit in der Bildungsregion deutlich wird, dass strukturelle Veränderungen im System notwendig wären, um die beschriebenen Ziele zu erreichen. Bildungsexperten fordern seit langem mehr Heterogenität an Schulen, am besten „Eine Schule für alle Kinder“. Es ist klar, dass mit dieser Landesregierung solch radikale Veränderungen – auch wenn wir es wollten – in der Bildungsregion  nicht durchsetzbar wären. Deshalb ist das, was mit Hilfe der Bildungsregion erreicht werden kann, sehr begrenzt, wir müssen uns vorläufig mit kleinen Reparaturen am System begnügen.

Sie sehen, Skepsis gegenüber dem Instrument der Bildungsregion angesichts der Schulpolitik des Landes ist angebracht. Meine Hoffnung ist, dass das Bildungsbüro bald arbeitsfähig wird und wir nach der Landtagswahl im Mai ein Instrument haben, um der sozialen Segregation in der Schule begegnen zu können und alle Kinder entsprechend ihrer Begabung fördern zu können.

In diesem Sinne wünschen wir der Bildungsregion Bielefeld viel Erfolg.

Es gilt das gesprochene Wort!