Kulturelle Bildung – Tagungsbericht

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Tagung Kulturelle Bildung

Kulturelle Bildung in Bielefeld, das heißt: viele und qualitätsvolle Aktivitäten, aber auch noch viele offene Fragen und großer Handlungsbedarf. So lautete das Fazit der Tagung „Kulturelle Bildung”, zu der die GRÜNE Ratsfraktion am 20.05.2011 eingeladen hatte. Etwa 80 Personen – Kulturschaffende, MitarbeiterInnen städtischer Kultureinrichtungen, LehrerInnen und weitere Interessierte – beschäftigten sich einen Freitagnachmittag lang im Bildungszentrum Tor 6 gemeinsam mit Aspekten des komplexen Themas.

Ziel der Veranstaltung war es, einen Eindruck von der Breite der Aktivitäten in der Stadt zu vermitteln, die Aktiven in engeren Kontakt zu bringen und Aufgaben für Rat und Verwaltung zu formulieren. So sollten Ideen zusammengetragen werden für einen städtischen Kulturentwicklungsplan.

Hauptreferent war der Staatssekretär a.D. Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff. Er formulierte die Hauptaufgabe der kulturellen Bildung: Die Kinder sollen nicht bloß Zahlen und Fakten lernen, sondern Zusammenhänge, soziale Verhaltensweisen, kulturelle Fähigkeiten. Die moderne Forschung zeigt, dass Kinder, die singen und Instrumente spielen können, auch besser lesen und Rechnen lernen.

Danach gaben die Förderschule Am Möllerstift mit ihrem Clownstheater und die Brocker Schule mit ihrem Chor der Jüngsten praktische Beispiele für die Arbeit von jungen Kindern mit Kultur und Künstlern.

Dies leitete über zu den vier Foren zur Diskussion von einigen der vielen mit kultureller Bildung verbundenen Themen.

In allen Foren wurde deutlich, dass sich die Kulturschaffenden und die Pädagogen von Verwaltung und Politik mehr Initiativen erhoffen, um die vorhandenen Aktivitäten zu fördern, zu koordinieren und Raum für Kreativität und Engagement zu schaffen. Inhaltlich besteht ein großes Bedürfnis, die eingeleiteten Diskussionen weiterzuführen. Bielefeld ist bunt und kreativ – es soll noch spannender vielfältiger und klüger werden.

Forum „Finanzierung”

Im Forum mit dem Schwerpunkt „Finanzierung” diskutierten die TeilnehmerInnen das Thema Kulturrucksack und das vom Bund aufgelegte und seit Anfang des Jahres geltende Bildungs- und Teilhabepaket.

Für das Projekt „Kulturrucksack” hat das Land NRW in dem gerade erst verabschiedeten Landeshaus¬halt Mittel i.H.v. 3 Mio. € zur Verfügung gestellt. Die Grundidee eines solchen Kulturrucksacks ist, dass bestimmten Gruppen, wie bspw. Grundschulklassen, 5. und 6. Klassen von Hauptschulen, Jugendfreizeiteinrichtungen oder Kindertagesstätten ein Rucksack mit verschiedenen musisch-kulturellen Vermittlungs- und Kreativitätsförderangeboten aus unterschiedlichen Kunstsparten gefüllt wird. Modelle gibt es schon in den Städten Düsseldorf und Nürnberg und demnächst – finanziert durch die Stiftung der Sparkasse Bielefeld und initiiert durch das Trotz-Alledem-Theater – auch in Bielefeld. Die Regelungen für die genaue inhaltliche Ausgestaltung des landesweit geplanten Kulturrucksacks befinden sich noch in der Erarbeitung.

Die Eckpunkte des Bildungs- und Teilhabepakets wurden von Markus Kurth, Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen, vorgestellt. Danach besteht für Kinder und Jugendliche, die sich im Leistungsbezug befinden, für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft ein individueller Anspruch auf eine Sachleistung von 10,- € monatlich. Davon sollen Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit, Unterricht in künstlerischen Fächern und vergleichbare angeleitete Aktivitäten der kulturellen Bildung und die Teilnahme an Freizeiten finanziert werden. Diese Regelung wurde in dem Forum zunächst einmal sehr ernüchtert zur Kenntnis genommen. Gerade für kleinere Träger wird es unter diesen Voraussetzungen und den voraussichtlichen Umständlichkeiten des bürokratischen Antragsverfahrens nicht möglich sein, Angebote kostendeckend zur Verfügung zu stellen, obwohl schon jetzt viele berechtigte Kinder und Jugendliche in den kulturellen Einrichtungen präsent sind. Es herrschte Einigkeit, dass es einer intensiven Unterstützung durch die Verwaltung bedarf, um das Antragsverfahren möglichst einfach zu gestalten.

Aufgabe der Grünen im Rat wird es sein, die Verwaltung dazu anzuhalten, den Berechtigten die Inanspruchnahme der Leistungen möglich zu machen. Vor allem müssen Wege für die freien Träger gefunden werden.

Forum „Kulturelle Bildung in Grundschulen- gelungene Aktivitäten in Bielefeld”

In dem Forum stellten vier Bielefelder Grundschulen ihre Formen der Kulturellen Bildung vor. Beeindruckend war die Vielfältigkeit der Angebote. So wurde im musischen Bereich neben einer „Musikklasse” ein „Singprojekt” vorgestellt, im gestalterischen Bereich wurden die Projekte „Skulpturen” und „Lichtflügel” sowie ein Projekt zu den „vier Elementen” präsentiert. Auch wenn die Projekte sehr unterschiedlich angelegt waren, trafen einige Grundlagen und Voraussetzungen für alle Angebote gleichermaßen zu:

– Die Projekte werden von den Schulleitungen getragen und es gibt Personen, die das Vorhaben „zu ihrer Sache” machen und sich dafür besonders engagieren.

– Die Projekte finden in Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern statt, die ihre Profession einbringen. Dafür muss die „Chemie” zwischen den Beteiligten stimmen und der künstlerische Ansatz muss zum Profil der Schule passen.

– Ohne Geld geht’s nicht! Die Schulen haben zusätzliche finanzielle Mittel über Landesförderung, Stiftungen oder Sponsoren akquiriert.

– Alle Projekte sind in den Alltag der Schulen integriert. Sie öffnen die Schule beispielsweise in den Stadtteil und verändern sie. Den Schülerinnen und Schülern werden neue Lernerfahrungen ermöglicht.

– Die Angebote richten sich an alle Schülerinnen und Schüler. Sie befördern eine Integration der Kinder aus unterschiedlichen Herkunftsfamilien und bieten ihnen Chancen, Erfahrungen im kulturellen Bereich zu machen.

Fragestellungen, wie z. B. die Verbesserung der Kontaktaufnahme zu Künstlerinnen und Künstlern, konnten aufgrund der Zeit nur angerissen werden und sollen an einem Folgetermin erörtert werden. Bei allen vorgestellten Projekten war eine große Begeisterung und Überzeugung für diese Bildungsansätze in den Schulen zu spüren, zweifellos eine wichtige Voraussetzung für gelingende Projekte.

Forum „Kulturelle Bildung bei Jugendlichen”

Etwa 15 Personen hatten sich eingefunden, um über das Thema „Kulturelle Bildung bei Jugendlichen” zu diskutieren. VertreterInnen aus den unterschiedlichen kulturellen Einrichtungen der Stadt Bielefeld (u. a. Kulturkombinat Kamp, die Falken, Bunker, Stadttheater, freie Künstler, …) unterhielten sich darüber, was eigentlich in der Stadt vorhanden ist, auf welche Probleme sie in ihrer alltäglichen Arbeit stoßen und was fehlt, bzw. was sie sich von den politischen VertreterInnen der Stadt wünschen.

Schnell war man sich einig, dass ein großes und vielfältiges Angebot in Bielefeld besteht, auf das Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene zurückgreifen können. Als größtes Problem in ihrer alltäglichen Arbeit sahen die Veranstalter und Künstler eine fehlende Vernetzung. Zwar kenne man sich natürlich unter einander und treffe auch Absprachen bzw. frage einander, aber eine zentrale Anlaufstelle fehle.

Genau das werde aber dringend gebraucht. „Es wäre toll, wenn die Stadt es schaffen könnte, dass eine Person, aus dem Schulamt zum Beispiel, ihr Aufgabenfeld auch in der Kultur sehen würde und hier eine Arbeitskraft geschaffen würde, bei der zentral alles zusammen läuft” meinte einer der Teilnehmer.

Damit könnten Veranstaltungen besser koordiniert und geplant werden und es könnte um Rat in Verwaltungsangelegenheiten gefragt werden (und wenn es nur darum ginge, dass man an jemanden Kompetentes weiter verwiesen werden würde). Darin waren sich alle einig.

Als besonders wichtig sahen die Teilnehmer das Aufgabenfeld dieser zu besetzenden Stelle im Bereich der Projektunterstützung. Sie würden sich wünschen, dass man hier Hilfe und Rat bekommen würde bezüglich der Planung, Förderung, Antragstellung und der Vermittlung von Kontaktpersonen, bzw. der Vernetzung unter einander nach dem Motto „da gab es schon mal was Ähnliches von xy”.

Gerade im Bereich der kulturellen Bildung sehen viele der Teilnehmer das Problem der kurzfristigen Förderung. Projekte werden nur für einen begrenzten Rahmen unterstützt und müssen dann entweder von selbst laufen oder aufhören. Dabei werde auch nicht darauf geachtet, was für ein Projekt es ist, oder welche Tendenzen sich dort erkennen lassen. Eine langfristige und zukunftsorientierte Planung sei da oft schwierig.

Die zentrale Anlaufstelle könnte hier nicht nur nützlich und hilfreich sein, sondern auch äußerst produktiv zur Projektförderung und Projektplanung beitragen und die Kontakte „in der Szene” stärken.

Forum „Interkulturelle Bildung”

Etwa 20 – 25% der Bielefelderinnen und Bielefelder sind Einwanderer der 1., 2. und 3. Generation. Was bedeutet dies für die Arbeit der kulturellen Institutionen und welche Chancen und Herausforderungen bringt dies für die kulturelle Bildung? Das waren die Fragen, denen sich die Arbeits-gruppe „Interkulturelle Bildung” widmete.

Dieter Powitz, der stellvertretende Intendant, berichtet von den Erfahrungen und Plänen des Stadttheaters. Das Klischee vom mittelstands¬orientierten Musentempel ist längst aufgegeben: Das Theater hat seine Bildungsaufgabe angenommen und stellt sich den Aufgaben in einer kulturell sich verändernden Gesellschaft. Die „Zeitsprung”-Projekte des Tanztheaters erreichen die verschiedensten sozialen und ethnischen Gruppen, Theaterpädagogik entwickelt neue Zugänge zum Theater und neues Theater.

Doch auch hier sind die Diskussionen noch am Anfang: Was bedeuten die Veränderungen in der Gesellschaft für das Repertoire? Was wird aus der Aufgabe des Theaters, die „deutsche” literarische und musikalische Kultur zu vermitteln? Sollen Veranstaltungen angeboten werden, die allein auf einzelne ethnische Gruppen zielen?

Bernd Beckstede vom IBZ berichtet über die jahrzehntelange Arbeit in seiner Einrichtung, die von der Pflege der kulturellen Traditionen der einzelnen Zuwanderergruppen bis zur Entwicklung einer eigenständigen interkulturellen Bildungsarbeit geht.

Die Diskussion zeigte die Breite der Problematik auf. Die kulturellen Bedürfnisse der Zuwanderer sind nicht geringer als die der Einheimischen, ihre Wünsche nicht weniger sozial differenziert. Löst sich damit die ethnische Frage in der sozialen auf? Doch die Zuwanderer nehmen seltener die kulturellen Angebote wahr – außer dem der Bibliotheken. Sind dies finanzielle Gründe? Muss der Werkkanon erweitert werden? Kann Schwellenangst durch besondere, auf Zuwanderer gezielte Veranstaltungen abgebaut werden? Wird dadurch die Tendenz zur Bildung von Parallelgesellschaften befördert? Kann eine interkulturelle Bildung organisiert werden, mit der das Kennenlernen und Wertschätzen des „Fremden” das Bewusstsein und die Selbstgewissheit des „Eigenen” fördert?

Das Forum konnte alle diese Fragen nur anreißen und keineswegs beantworten. Aber die gesellschaftlichen Veränderungen sind endlich in den Köpfen angekommen. Es ist viel zu tun – und wir beginnen, es anzupacken.