„LIES!“-Kampagne in der Bielefelder Innenstadt

Koran auf Bibel SzeneSeit Monaten finden in der Bielefelder Innenstadt regelmäßig  Werbeaktionen im Rahmen der „LIES!“-Kampagne der salafistischen Vereinigung „Die Wahre Religion“ des als Radikal-Salafisten und „Hassprediger“ bekannten Ibrahim Abou-Nagie statt. Dabei werden kostenlose Exemplare des Koran verteilt und vor allem junge Menschen angesprochen.

In einer umfangreichen Berichterstattung der „Neuen Westfälischen“ (NW, 19./20. September 2015) wird auf die Gefährdungspotenziale eingegangen, die von den jihadistischen Salafisten ausgehen.

Im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Landes NRW finden sich dazu u.a. folgende Aussagen: „Koranverteilungen sind grundsätzlich rechtlich nicht zu beanstanden. Verteilungen im Rahmen der Lies!-Kampagne sind jedoch eindeutig als salafistisch extremistische Aktionsform zu bewerten und dienen einem Heranführen junger Menschen an die extremistische Szene. Ein ordnungsrechtliches Vorgehen gegen diese Aktionsform der „Street Dawa“ gestaltet sich jedoch schwierig, da die Verteilungen zwar in der Regel straßenrechtlich genehmigungs-pflichtig sind, jedoch vorgeblich rein religiösen und damit grundgesetzlich geschützten Zwecken dienen. Für eine extremistische Ausrichtung der Lies!-Kampagne spricht auch die Reaktion der Verantwortlichen auf die Anschläge in Paris im Januar 2015. Sie wenden sich einseitig gegen die als Begründung genannte Prophetenbeleidigung, machen jedoch in keiner Weise deutlich, dass die gewalttätige Reaktion nicht akzeptiert werden darf. Auf der Internetpräsenz werden zudem eindeutig demokratiefeindliche Botschaften verbreitet.“ (Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2014, S. 141)

Anfrage der GRÜNEN zur Sitzung des Haupt- und Beteiligungsausschusses am 29.10.2015:

Was kann die Stadt Bielefeld tun, um die öffentlichen Aktivitäten (insbesondere die Werbeaktionen im Rahmen der „LIES!“-Kampagne)  der jihadistischen Salafisten zu unterbinden?

Nachfrage:

Liegen der Verwaltung Erkenntnisse darüber vor, ob Jugendliche gezielt von den „Lies!“-Aktivisten angesprochen worden sind?


Antwort der Verwaltung:

Die Stadtverwaltung hat sich hinsichtlich der Beantwortung auch mit dem Polizeiprä­sidium Bielefeld, Abteilung Polizeilicher Staatsschutz, in Verbindung gesetzt. Die Er­kenntnisse und Einschätzung zu den Aktivitäten der „Lies!“ Aktivisten decken sich.

So ist bekannt, dass nahezu regelmäßig am Samstag ein Treffen einer kleinen Gruppe in der Bielefelder Innenstadt stattfindet. Diese Gruppe trägt in der Regel ein entsprechendes Werbebanner auf dem Rücken. Darüber hinaus kommt es gelegent­lich zu festen anmeldepflichtigen Ständen.

Diese Aktivitäten gehören gemäß dem Widmungszweck in der Fußgängerzone zum kommunikativen Gemeingebrauch und sind nach dem Straßen und Wegerecht zu­lässig. Im Gegensatz dazu stellt das Aufstellen eines Infostandes mit Tischen; Stüh­len etc. eine Sondernutzung dar und ist erlaubnispflichtig. Unerlaubte Sondernutzun­gen würden von der Stadtwache im Rahmen der Streifengänge festgestellt, mit Platzverweis unterbunden und mittels Ordnungswidrigkeitenverfahren geahndet. Sol­che Verstöße sind aber bislang nicht bekannt.

Bislang wurde auch seitens Stadtwache, Jugendamt und Polizei nicht festgestellt, dass aktiv aus dieser Gruppierung heraus andere Jugendliche oder Personen ange­sprochen werden. Die Polizei verweist darauf, dass es vielmehr, zumindest seit den körperlichen Übergriffen durch jugendliche Täter auf „Lies!“-Aktivisten im Jahr 2014, so ist, dass die Aktivisten abwarten, bis sie angesprochen werden.

Ergänzung:

Stadtverwaltung und Polizei sind sich einig, dass es v.a. auch einer zunehmenden Sensibilisierung von entsprechenden Trägern oder Organisationen wie Schulen, Vereine und weiterer sozialer Einrichtungen bedarf. Notwendig ist weiterhin eine breite Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit.

Vor diesem Hintergrund hatten Herr Oberbürgermeister Clausen und Frau Polizei­präsidentin Dr. Giere die Geschäftsführung des Sozial- und Kriminalpräventiven Ra­tes (SKPR) bereits Anfang diesen Jahres gebeten, sich der Problematik „radikaler Islamismus / Salafismus“ anzunehmen. Der SKPR ist das Problem auf unterschiedli­chen Ebenen angegangen:

  • Prävention und Information von Schulen / Eltern / Gemeinden
  • Intervention bei Verdachtsfällen
  • Hilfe beim Ausstieg aus dem Salafismus.

Der Bereich Prävention / Information kann durch eine Vielzahl geeigneter Materialien abgedeckt werden, die z. B. durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kommissari­ats für Prävention und Opferschutz der Polizei und andere Multiplikatoren vermittelt werden.

Zur Prävention und Information gehören auch schon länger bestehende Projekte wie z.B. das Schüler/innennetzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, dem 15 Bielefelder Schulen angehören. Im Rahmen der Lokaltreffen informiert das Kommunale Integrationszentrum und diskutiert mit Schüler/innen, Lehrkräften. Das Treffen im Februar 2015 hatte das Schwerpunktthema „Jugend zwischen Salafismus und Pegida?“. Das Thema wurde nochmals in einem Workshop beim Schü­ler/innenwochenende am 29./30. Mai 2015 im Haus Neuland aufgegriffen.

Das Kommunale Integrationszentrum hat zudem berichtet, dass beim letzten Netz­werktreffen der Migrantenorganisationen das Thema Salafismus in einem konstrukti­ven Gespräch mit dem Vertreter einer Moschee einen breiten Raum einnahm – insb. im Hinblick auf die Gefährdung von Jugendlichen.

Die vermittelten Informationen enthalten neben Grundlagen zum Salafismus auch Kriterien, die auf eine mögliche Affinität der Jugendlichen in diese Richtung hinwei­sen könnten. Sollten Eltern, Lehrerinnen und Lehrer oder islamische Gemeinden diese Hinweise bei einigen Jugendlichen bestätigt finden, käme eine entsprechende Intervention in Frage. Hierfür soll Anfang nächsten Jahres für den Bereich OWL eine Stelle aus dem Landesprogramm „Wegweiser“ (ein Präventionsprogramm gegen gewaltbereiten Salafismus) eingerichtet werden, die passende Hilfen anbietet. Am 27.10. wurden seitens des SKPR erste Gespräche mit dem Innenministerium geführt.

Der dritte Schritt – der Ausstieg aus dem Salafismus – wird bundesweit vom Ministe­rium für Migration und Flüchtlinge organisiert und durchgeführt. Zurzeit arbeitet die AG des SKPR an der Bildung eines Bielefelder Netzwerks, das sowohl der Vorbe­reitung und Unterstützung des „Wegweiser Modells“ dient, aber auch innerhalb der Stadt Bielefeld Strukturen und Beziehungen aufbauen will, die insbesondere auch die muslimischen Gemeinden mit einbeziehen soll.

Auf eine Veranstaltung sei an dieser Stelle aktuell besonders hingewiesen: Das Bil­dungsbüro richtet gemeinsam mit dem Kommunalen Integrationszentrum und dem SKPR am 18.11.2015, 18.00 Uhr im Großen Ratssaal eine öffentliche Veranstaltung zum Thema „Jugend zwischen Pegida und Salafismus – Formen und Ursachen von Radikalisierungstendenzen bei Jugendlichen“ aus.