Polizeigewalt bei der Istanbuler Pride

Ratsmitglied Jens Burnicki nahm mit anderen GRÜNEN aus NRW an der diesjährige Pride in Istanbul teil – und erelebte die polizeilichen Repressionen. Hier beschreibt er seine Eindrücke:

IMG_1120 Als Teil einer Grünen-Delegation rund um die EU-Abgeordnete Terry Reinke, nehmen wir am Freitag an den Feierlichkeiten am Tünelplatz teil. Und dann am Samstag vor der Pride an einem historischen Moment, dem ersten offiziellen LGBTI-Empfang Istanbuls mit Bürgermeister Murat Hazinedar – auf Einladung der ersten offen lesbischen Ratsfrau der Türkei Sedef Çakmak. Abende wie dieser machen Mut, sie zeigen, dass der Einsatz für gleiche Rechte, Sichtbarkeit und Akzeptanz sich lohnt. Wir waren uns sichIMG_1022er: morgen verwandeln wir die İstiklal Caddesi in einen bunten Regenbogen!

Sonntag: Kurz vor dem Start des 13. LGBTI Pride Week March erhalten wir von der Deutschen Botschaft die Information, dass der Umzug eventuell abgesagt werden soll. Die Demonstration wurde wenige Stunden vor Beginn vom Gouverneur Istanbuls mit der Begründung, es sei Ramadan, verboten – was jedoch offiziell nicht kommuniziert wurde. Wir waren bis zum ersten, IMG_1029plötzlichen Übergriff der Polizist*innen, die uns direkt zur Uhrzeit des offiziellen Startes der Parade (17 Uhr) gewaltsam die Straße entlangdrückten, nicht sicher, ob die Pride nun stattfindet oder nicht. Unsere Gruppe wurde dabei auseinander gerissen.

Es beginnt ein perfides Katz und Maus “Spiel”. Die Polizei treibt die Demonstrant*innen auseinander, wenige Minuten später demonstrieren die unermüdlichen LGBTI-Aktivist*innen weiter. Was IMG_1015man auf den Fotos gut erkennen kann: Für manche Istanbuler*innen gehören solche Einsätze leider (seit Gezi) zum “Alltag”.

Kurz darauf folgte der Einsatz von Gummigeschossen und Tränengas. Da die vorrangehenden Istanbul Prides durchweg friedlich verliefen, waren wir auf so einen Einsatz nicht vorbereitet. Unsere Kehlen brannten und wir versuchten uns in Hauseingängen zu verstecken. Während wir in den Seitenstraßen von Wasserwerfern in Schach gehalten wurden, schaffte es ein anderer Teil unserer Truppe, darunter auch Terry Reinke und Gönül Eglence, Grüne OB-Kandidatin in Essen, zum Taksimplatz, wo eine Pressekonferenz mit türkischen Abgeordneten stattfand.

Am Abend sollte am Tünelplatz die traditionelle Abschlussparty stattfinden. Doch als wir ankamen war die ausgelassene Party bereits gewaltsam beendet worden. Ein Wasserwerfer hat versucht in die enge Straße zu gelangen und die Leute wegzufegen – passte aber nicht durch.

Vor dem Tünelplatz fielen uns weiße Lieferwagen voll mit bärtigen Männern auf, die Gebetsketten in der Hand hielten. Eine iranischstämmige Mitreisende erinnerte dieses Bild an zivile Trupps, die sie aus ihrer Jugend kannte. Plötzlich sprangen die Männer aus dem Wagen und nahmen einem Teil der Gruppe gealtsam die Handys weg. Ohne zu sagen, wer sie sind oder warum sie das tun. Die Gesten waren feindselig und aggressiv. Gönül Eglence fragte geistesgegenwärtig nach dem Dienstausweis. Einer zeigte diesen sofort, ein anderer nachdem sie drohte bei der Deutschen Botschaft anzurufen. Es liegt die Vermutung nahe, dass diese Männer in Zivil vom Staat organisiert wurden um die Abschlussparty zu sprengen und Chaos zu verbeiten.

Gönül Eglence: „Es muss sich dabei nicht um echte Beamte gehandelt haben. Aber, dass ‚normale‘ radikale Homophobe sich die Mühe machen, Polizeiausweise zu fälschen, glaube ich nicht. Auch die Organisation mit den abgedunkelten Fahrzeugen, die sie abholte, spricht wenig für einen Mob, der spontan ein paar Homosexuelle verprügeln will.“

Was bleibt ist der Schale Geschmack, dass parteipolitische Scharmützel nach der Wahl in der Türkei nun auf den Schultern derer ausgetragen werden, die für Anerkennung und gleiche Rechte kämpfen. Ein Hauptargument der AKP-Anhänger*innen ist, dass durch die letzten Wahlen die Stabilität im Lande gefährdet ist. Das eine friedliche Demonstration instrumentalisiert wird, um diesen Eindruck zu schüren ist schlichtweg perfide. Zu Recht wollen die Pride-Veranstalter*innen nun Politiker*innen verklagen.