01/2010: Google Street View

matthias bolte

Matthi Bolte hielt am 28.01.2010 im Rat der Stadt Bielefeld zum TOP “Google Street View” folgende Rede:

Herr Oberbürgermeister! Meine Damen und Herren!

Es ist immer schön, wenn es sofort nach Bekanntgabe eines Antrags Reaktionen gibt. In diesem Fall sogar recht interessante Reaktionen, kommen sie doch direkt aus dem Hause der von uns angesprochenen. Es sei alles gar nicht schlimm, und das was schlimm ist, sei einfach aus der Welt zu schaffen. Sagt Google.

 

Nicht nur die in der Presse zitierte Mitarbeiterin aus dem Hause Google, sondern auch eine Referatsleterin der Hamburger Datenschutzbehörde muss trotz aller Bachschmerzen sagen: Was Google macht, bewegt sich absolut auf legalem Boden. Und da sind wir beim springenden Punkt und dem Ausgangspunkt unseres Antrags. Denn obwohl rechtlich nicht zu beanstanden, gibt es eben gerade aus der Sicht von Menschen, denen der Schutz der Privatsphäre etwas bedeutet, Schwierigkeiten beim Projekt Street View.

Lassen Sie uns nicht den Fehler machen, an dieser Stelle die bei Ahnungslosen beliebte Floskel zu verwenden, das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein. Erstens, weil das Quatsch ist, das Internet ist ein hochregulierter Rahmen, und inzwischen ist es leichter, an der Haustür einen Staubsauger zu verkaufen als bei Ebay eine alte Schallplatte zu verscherbeln.

Zweitens, weil das Internet der Kommunikationsraum für Innovation und freies Denken in unserem Jahrhundert ist. Projekte wie die Wikipedia zeigen, dass es gut funktioniert, wenn kreative Menschen einen virtuellen Freiraum finden. Es ist das noch vorhandene und bisher den Sicherheitsfanatikern aus den Innenministerien noch nicht zum Opfer gefallene Quäntchen Anarchie, dass das Internet erst spannend macht.

Und drittens: Wer auf dieser Erde soll einem global operierenden Konzern in einem globalen Raum bitteschön sagen, was dieser Konzern zu tun oder vielmehr zu lassen hat? Auch wenn sich das Mancher wünscht: Das Internet ist keine Fußgängerzone, in der man Gehwegbreiten, die Höhe und den Standort von Werbetafeln regulieren könnte.

Wir müssen also einen anderen Weg finden.

Für mich ist der einzige Weg, den man in dieser Frage gehen kann, die Bürgerinnen und Bürger, die Verbraucherinnen und Verbraucher, mächtig zu machen. Ihnen müssen wir die Möglichkeit geben, zu wählen, was ein Konzern über sie wissen soll und was nicht. Denn die Analyse des SPIEGEL, Google sei ein Unternehmen mehr über die Menschen wisse als diese über sich selber, ist, zumindest was die Richtung angeht, richtig. Hinzu kommt das Problem, dass sich der Konzern beispielsweise in der Schweiz nicht an die Zusage, Gesichter und Autokennzeichen automatisch unkenntlich zu machen, gehalten hat und sich nun mit dem obersten eidgenössischen Datenschutzbeauftragten vor Gericht streitet. Denn diese Zusage ist ja gut gemeint. Aber es sollte objektiv erkennbar sein, dass eine automatische Filterung aller Bilder auf Gesichter und Fahrzeuge zwangsläufig zu Fehlern führen muss, das ist schlicht Stand der Technik.

Verbraucherinnen und Verbraucher mächtig machen, das heißt, sie aufzuklären und zu informieren. Das kann natürlich noch weiter gehen als wir das für unseren konkreten, heutigen Fall fordern. Präventions- und Informationsangebote wie das Projekt „Surfen mit SIN(N)“ gehen ja schon in die richtige Richtung. Diesen Weg müssen alle Bildungseinrichtungen hier in Bielefeld unterstützen.

Und wir als Rat, wir als Vertreterinnen und Vertreter der Stadt, müssen zeigen, dass das, worüber wir hier reden, kein Thema für internetverrückte Nerds ist. Deshalb sollte die Stadt mit gutem Beispiel voran gehen und Google hier für Bielefeld eine rote Karte zeigen. Denn wir sind nicht die einzigen in Deutschland, die diesen Weg gehen. Wenn es schon keine rechtliche Handhabe dagegen gibt, dass ein Konzern alles einsackt, was er an Informationen über die Menschen einsacken kann, müssen wir zeigen, dass es  etwas dagegen zu tun gibt. Weil uns der Schutz der Privatsphäre der Bielefelderinnen und Bielefelder wichtig sein muss.

Ich will aber an dieser Stelle auch eins sagen: Wir reden hier mal wieder über ein Problem, das sich aus der immer stärkeren Verlagerung des Lebens in den virtuellen Raum ergibt. Eigentlich ist das ein zentrales Problem der netzpolitischen Debatte: Dass es immer nur um die Schwierigkeiten geht, je nach Perspektive um allzu freizügige Selbst- und Fremddarstellung in sozialen Netzwerken, mal um online-Killerspiele und mal um Spionage durch Staat und Konzerne. Das alles sind Dinge, die es zu diskutieren lohnt, über die Politikerinnen und Politiker aber die Chancen dieses immer noch relativ neuen Mediums nicht vergessen dürfen. Das Internet bietet zum Beispiel gigantische Chancen, Politik attraktiver, offener und transparenter zu gestalten. Menschen können sich einfacher einbringen in gesellschaftliche Prozesse, Kinder und Jugendliche besser mitgestalten, die Menschen können viel leichter an Informationen und Wissen kommen und viel leichter ihr Wissen in die Welt tragen. Wo, wenn nicht im Netz liegen diese kreativen Potenziale?

Lassen Sie uns deshalb genau unterscheiden: Wir müsen ohne Zweifel unseren Beitrag leisten, die online-Schnüffelei (und Google ist da nicht das einzige Schwarze Schaf) in den Griff zu kriegen. Wir sollten aber – fernab vielleicht von Generationenunterschieden oder den individuellen Hintergründen – offen und neugierig an die neuen Technologien gehen.

Vielen Dank.

Es gilt das gesprochene Wort!