04.07.2013: Gezi-Park: Gebt dem Protest eine Stimme! GEZI PARKINA SES VER!

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Sehr lebendig und anschaulich war der Bericht von Belit Onay, Mdl in Niedersachsen, über seine Eindrücke aus Istanbul:

Hier ein Auszug aus seinem Bericht, der in voller Länge auf seiner Homepage nachzulesen ist: „…..Überall stehen Menschen mit Bauhelmen und Gasmasken, teilweise mit Trillerpfeifen, Trommeln oder anderen Instrumenten. Sie machen Krach, Musik, tanzen den Pinguintanz und singen „Hier sind die Pinguine, doch wo ist CNN Türk?”, in Anspielung auf den türkischen Ableger von CNN International, der am ersten Abend der Proteste nicht vom Taksim-Platz berichtete, sondern stattdessen lieber eine Pinguin-Doku ausstrahlte.

Insgesamt sind die Demonstrationen sehr friedlich, lautstark, kreativ und voller Sprachwitz. Hunderte von Graffitis und Spruchbändern vermitteln Botschaften, nehmen die Regierung, die Gesellschaft oder die Demonstration selbst auf die Schippe.DSC 0835

Bei einem Graffiti sieht man das Gesicht von Recep Tayyip Erdoğan auf einer Chilischote, darüber steht in Anspielung an das von der Polizei eingesetzte Pfefferspray der Titel „Red Hot Chili Tayyip”. An anderen Wänden stehen Sprüche wie „Wenn ihr nicht sofort aufhört, dann rufe ich die Polizei”, „Tränengas ist gut für die Haut” oder „Keine Angst, Mann! Wir sind’s bloß: das Volk!”

Erdoğan selbst hatte dem kreativen Protest Stoff geliefert, indem er die Protestierenden als „çapulcu” – also als Marodeure – bezeichnet hatte. In Anlehnung an einen englischen Hit der Gruppe „LMFAO” kreierten die Demonstrierenden daraus den Songtitel „Everyday I’m Çapuling!”….” (mehr lesen: http://www.belit-onay.de/presse/meldung/artikel/wir-sinds-bloss-das-volk.html)

In der weiteren Diskussion zwischen Belit Onay und Kerem Öktem, Doktorant (Politologie) an der Universität Ankara, die von Nilgün Isfendiyar moderiert wurde, war man sich einig in der Einschätzung, dass die Demonstranten ihre Aktionen in den verschiedenen Städten der Türkei sehr kreativ und witzig gestalten, was ihnen ein großes Maß an Sympathie einbringt. Allerdings sind kaum klare politische Forderungen zu finden, die die Menschen auf Dauer zu einer starken Bewegung einen könnten. Die politische Opposition in der Türkei ist nicht stark genug und hat nicht genug Rückhalt in der Bevölkerung, um als politisches Sprachrohr der Bewegung fungieren zu können. Zudem wollen die Demonstranten vom Gezi Park sich nicht von den „alten” politischen Kräften vereinnahmen lassen. Einig waren sich die Referenten auch darin, dass durch die Proteste die politische Landschaft in der Türkei nicht nachhaltig verändern wird. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Erdogans Pläne, demnächst Staatspräsident in einer Präsidialdemokratie zu werden, nicht mehr realistisch sind.P1070512

Beide Referenten sprachen sich dafür aus, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zur EU nicht auszusetzen. Man müsse an dieser Stelle den Dialog nutzen um das zivilgesellschaftliche Engagement und die Demokratiebewegung zu stärken. Dies sei ein Beitrag, den Deutschland und Europa zur Unterstützung leisten könne.

Obwohl nicht abzusehen ist, wie sich die junge Bewegung in der Türkei weiter entwickelt, stimmt die Tatsache hoffnungsvoll, dass es auch nach der Räumung des Gezi Parks an verschiedenen Orten in Istanbul und auch in anderen Städten spontane und öffentliche Treffen von vorwiegend jungen Menschen gibt, die die politischen Verhältnisse in der Türkei kritisch hinterfragen. Dieser kritische Geist und die damit verbundene Stärkung der Zivilgesellschaft kann den Menschen von niemandem genommen werden.