Geflüchtete integrieren, Zukunftsperspektiven für unsere Stadt entwickeln!

Bei der diesjährigen Jahreshauptversammlung der GRÜNEN Bielefeld am 27.2.16 beschlossen wir einstimmig diesen von Ratsfraktion und Kreisvorstand eingebrachten Leitantrag

 

“Geflüchtete integrieren, Zukunftsperspektiven für unsere Stadt entwickeln!”

In den letzten Monaten hat sich unsere Stadt verändert: mehr als 3.500 Geflüchtete aus vielen verschiedenen Ländern haben in Bielefeld Aufnahme gefunden, sie wurden von zahllosen haupt- und ehrenamtlich Tätigen empfangen und versorgt. Anders als andere Städte, hat Bielefeld auch bei der Erstaufnahme niemanden abgewiesen, sondern allen Ankommenden ein Dach über dem Kopf zur Verfügung gestellt. Für diesen humanen Umgang gebührt allen Beteiligten ein großer Dank!

Nach dieser gelungenen und gelebten Willkommenskultur, sind wir nun auf dem Weg, die zugewiesenen Geflüchteten dauerhaft in unsere Stadtgesellschaft zu integrieren.

Wir stellen uns dieser Aufgabe in dem Bewusstsein, dass die Bielefelderinnen und Bielefelder bereits mehrfach bewiesen haben, dass sie dazu bereit und in der Lage sind. Wir wissen, dass Integration ein dynamischer Prozess ist, bei dem noch zahlreiche Herausforderungen und Aufgaben auf uns zukommen werden. Wir sind jedoch sicher, dass wir diese gemeinsam im Interesse der Zukunft unserer Stadt bewältigen können!

Im Oktober 2015 legte die Stadtverwaltung ein „Handlungskonzept zur Aufnahme von Flüchtlingen in der Stadt Bielefeld“ vor, das in der Zwischenzeit bereits fortgeschrieben und konkretisiert worden ist. Darin werden die zentralen Handlungsfelder für die Integration der Geflüchteten aufgezeigt und Umsetzungsschritte beschrieben. Zwar wurde das Handlungskonzept einhellig begrüßt und einstimmig beschlossen. Dennoch zeigt sich in der Realisierung, dass an vielen Stellen Überzeugungsarbeit und entschiedenes Handeln notwendig sind.

Schwerpunkte GRÜNER Integrationspolitik vor Ort

Aus GRÜNER Sicht sind in den nächsten Monaten und Jahren insbesondere die Bereiche Wohnen, Sprache und Bildung, Beschäftigung und Arbeit, soziale Integration sowie Förderung der Selbstorganisation der Geflüchteten vordringlich.

 

1.Wohnen in integrierten Quartieren ermöglichen

Zwar haben in Bielefeld alle Geflüchteten ein festes Dach über dem Kopf und es wurden keine Zeltstädte errichtet. Dennoch müssen aktuell auch uns zugewiesene Menschen in großer Zahl in Behelfsunterkünften, umgebauten Gewerbeimmobilien und Turnhallen untergebracht werden. Um diese Zustände möglichst schnell zu verbessern, werden zur Zeit temporäre Unterkünfte, Mehrfamilienhäuser in einfacher Bauweise sowie im nächsten Schritt im Rahmen eines kommunalen Mietwohnungsbauprogramms neue Wohngebäude für einkommensschwache Menschen errichtet. Hinzu kommt, dass Bielefeld – anders als bislang angenommen – wieder eine wachsende Stadt ist. Dies berücksichtigend gehen Schätzungen der NRW Bank davon aus, dass in Bielefeld in den nächsten 5 Jahren 6.000 bis 8.000 Wohnungen gebaut werden müssen. Das geht nur begrenzt durch weitere Verdichtungen, Lückenschlüsse oder andere flächensparende Möglichkeiten. Wir brauchen darüber hinaus neue Wohnbauflächen in erheblichem Umfang. Diese dürfen aber nicht als „Satellitensiedlungen“ auf der Grünen Wiese entstehen, sondern sie müssen in erster Linie dort gebaut werden, wo die verkehrliche und soziale Infrastruktur vorhanden ist, wo Schulen, Kindertagesstätten und Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe sind, wo es nach dem „Zielkonzept Naturschutz“ keine unüberbrückbaren Konflikte gibt und Naherholungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Aus Grüner Sicht können solche integrierten Wohnstandorte in Uninähe, in der Nähe der Stadtbahnlinie nach Altenhagen oder in der Nähe der geplanten Stadtbahntrasse nach Sennestadt entwickelt werden. Die Bebauung freigehaltener Straßentrassen (z.B. B 66n) wollen wir prüfen und nach Möglichkeit realisieren. Perspektivisch sind die ab 2020 frei werdenden Konversionsflächen ebenfalls als potenzielle Wohnbauflächen vorzusehen. Damit Integration gelingen kann, sind auch weiterhin durchmischte Wohnquartiere notwendig. Eine Quote von mindestens 25% sozialem Wohnungsbau wollen wir grundsätzlich vorsehen.Damit Zusammenleben gelingen kann, wollen wir Wohnprojekte von und mit Geflüchteten ebenso fördern wie den Bau von Begegnungsmöglichkeiten in allen Wohnquartieren.

2. Sprachvermittlung und Bildung von Anfang an
Die schnelle Vermittlung der deutschen Sprache ist von zentraler Bedeutung für die Integration der geflüchteten Menschen. Leider hängen die Zugangsberechtigungen zu staatlich geförderten Sprachkursen von Voraussetzungen ab, die wir kommunal nicht beeinflussen können. Wir unterstützen deshalb alle Bemühungen des Kommunalen Integrationszentrums sowie anderer Akteur*innen, den Menschen bereits sehr früh den Zugang zu Sprachkursen zu ermöglichen. Bund und Land sind gefordert, im Rahmen einer umfassenden Bildungsoffensive die Sprachvermittlung stärker als bisher zu finanzieren.
Vielfach findet Sprachvermittlung durch das Engagement zivilgesellschaftlicher Initiativen statt. Modelle wie Sprachpaten, Sprachtandems oder Sprachcafés wollen wir nach Kräften und, falls notwendig und gewünscht, auch durch kommunale Projektmittel oder andere Unterstützungsangebote fördern. Die Einrichtung des (kommunalen) „REGE-Ports“ war eine richtige und zielorientierte Maßnahme.
Flankierende Sprachangebote von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen sind aber kein Kita- oder Schulersatz. Die schnelle Einbeziehung der Kinder in Kitas und Schulen genießt deshalb höchste Priorität. Die bereits begonnenen Maßnahmen der Stadt (u.a. Brückenprojekte, Einrichtung von internationalen Klassen in allen Schulformen) müssen forciert werden. In Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung muss alles getan werden, um weitere Lehrkräfte (insbesondere für ‚Deutsch als Zweitsprache‘ bzw. ‚Deutsch als Fremdsprache‘) zu aquirieren. Angesichts fehlender Schulplätze können derzeit längst noch nicht alle Kinder beschult werden. Um die Zahl der Schulplätze zu erhöhen, sind auch kreative Lösungen gefragt. Es können zum Beispiel nichtschulische Räume genutzt oder auch ein längerer Schulweg in Kauf genommen werden. Und in der derzeitigen Situation sollte das Land auch Ersatzschulen zusätzliche Lehrerstellen zuweisen, wenn sie Geflüchtete beschulen. Mit einem Schulplatz allein ist es aber nicht getan. Insbesondere ältere zugewanderte Kinder und Jugendliche brauchen Unterstützung, wenn sie in der Sekundarstufe II von der internationalen Klasse in die Regelklasse wechseln.

3. Für Ausbildung, Beschäftigung und Arbeit sorgen
Neben Bildung sind Arbeit und Beschäftigung weitere entscheidende Bausteine für Integration und Teilhabe der Geflüchteten. Auch hier sind die Bundes- und Landesgesetzgeber gefordert, rechtliche und bürokratische Hürden abzubauen, um vor Ort flexible Angebote und Projekte zu ermöglichen. REGE und Jobcenter haben in Bielefeld bereits Initiativen ergriffen, die zu Beschäftigungsmöglichkeiten für Geflüchtete (z.B. als „Integrationslotsen“) führen. Mit der Einrichtung eines „Integration Point“ hat auch die Agentur für Arbeit Verantwortung für Arbeit und Beschäftigung übernommen. Hier müssen nun Taten folgen! Wir brauchen weitere passgenaue und niedrigschwellige Angebote für Menschen, die an deren beruflichen Vorkenntnissen ansetzen. Gartenbau- oder Werkstattprojekte können ebenso sinnvoll sein wie „Schnuppertage“ und Praktikumsplätze. Hier sind Stadtverwaltung und die städtischen Tochterunternehmen besonders gefordert. Ein Zwischenziel sollte die Einrichtung von mindestens 100 Praktikumsplätzen bis zum Sommer 2016 sein.
Wir wollen Eigeninitiativen von Geflüchteten fördern und Hilfen in Unterkünften und andere gemeinwohlorientierte Tätigkeiten (wie z. B. selber Kochen, Tätigkeiten im Wohnumfeld) ermöglichen. Geflüchtete, die sich mit eigenen Geschäftsideen selbständig machen wollen, sollen unterstützt werden. Gemeinsam mit dem Handwerk und der Industrie sollen Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Geflüchtete geschaffen werden. Wir begrüßen und unterstützen entsprechende Initiativen der Wirtschaft (z.B. „Wir zusammen“) und können uns dies auch auf kommunaler Ebene – z.B. unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters – gut vorstellen. In Bielefeld gehört das Thema „Ausbildung und Arbeit für Geflüchtete“ stärker auf die öffentliche Agenda. Hier können die Stadt und die WEGE Beiträge leisten, indem sie im kontinuierlichen Austausch mit Wirtschaft und Handwerk Bedarfe frühzeitig erkennen und darauf reagieren. Auch die Ausweisung neuer Gewerbegebiete muss bei Bedarf diskutiert und entschieden werden. Denn die Schaffung von Arbeitsplätzen ist ein zentraler Baustein für die Integration und Teilhabemöglichkeiten der Geflüchteten!

4. Soziale Integration voranbringen

Im Sommer des letzten Jahres waren wir zu Recht stolz auf die breit getragene und gelebte Willkommenskultur der Bielefelder*innen. Nun ist es notwendig, dies in eine kontinuierliche „Kultur der Integration“ weiter zu entwickeln. Im Sinne der gleichberechtigten Teilhabe aller in der Bielefelder Stadtgesellschaft gehören dazu die Stärkung von Nachbarschafts-/Quartiersstrukturen, die Förderung und Unterstützung von ehrenamtlicher Arbeit, die Einbeziehung der Geflüchteten in das sportliche und kulturelle Leben und die Öffnung der bestehenden Jugend- und Freizeiteinrichtungen. Die bereits existierenden positiven und gut funktionierenden Beispiele bzw. Strukturen wollen wir unterstützen und fördern! Insbesondere die vielen ehrenamtlich Tätigen brauchen unbürokratische Unterstützung durch die Stadt. Das von der Stadtverwaltung aufgebaute Projekt „Bielefeld integriert“ hat bislang gute Arbeit geleistet, es ist aber notwendig, die geschaffenen Strukturen zu überprüfen und sie auf die Integrationsaufgaben neu auszurichten. Die Zusammenarbeit mit weiteren zivilgesellschaftlichen Netzwerken der Geflüchtetenhilfe sollte verbessert werden.

Die Grünen unterstützen ausdrücklich die bisher gepflegte transparente und kommunikative Informationspolitik der Stadtverwaltung im Zusammenhang mit der Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften. Dadurch kann Vorurteilen und Diskriminierungen wirksam und frühzeitig entgegnet werden!
Geflüchtete haben Rechte und Pflichten, wie alle Gesellschaftsmitglieder. Deshalb wollen wir sie durch wirksame Maßnahmen möglichst schnell und umfassend gleichstellen. Dazu gehört u.a. die schnelle Einführung der Gesundheitskarte für Geflüchtete.

5. Teilhabe sichern und Selbstorganisation fördern

Die Geschichte von Zuwanderung und gelungener Integration in unsere Gesellschaft zeigt, wie notwendig die eigenständige Artikulation von Interessen und Einbeziehung der zugewanderten Menschen in allen Bereichen der Stadtgesellschaft ist. Um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, unterstützen wir daher ausdrücklich die Selbstorganisation von Geflüchteten! Wir wünschen uns hierbei die Hilfe und Expertise der zahlreichen Migrantenselbstorganisationen und des Integrationsrates in unserer Stadt. Sie können entstehende Initiativen und Formen der Selbstorganisation am besten unterstützen. Politik und Verwaltung sind aufgefordert, Eigeninitiativen zu ermutigen, Selbstorganisation von Geflüchteten zu fördern und die Räume dafür zu schaffen. Kommunikation auf gleicher Augenhöhe ist eine wichtige Bedingung für eine nachhaltige Integration, die auf Teilhabe und Chancengleichheit der zugewanderten Menschen beruht!

Bündnis 90/Die Grünen in Bielefeld wollen eine gelingende Integration und eine umfassende Teilhabe der Geflüchteten. Wir unterstützen die Stadtverwaltung, die Sozialverbände und insbesondere die zahlreichen Akteur*innen der Zivilgesell-schaft, die dazu beitragen, dass Bielefeld auch weiterhin eine bunte und flüchtlings-freundliche Stadt bleibt! Das gelingt am besten, wenn die Geflüchteten ihre Interessen und Bedürfnisse eigenständig artikulieren und sich in die Diskussionen über die Zukunft unserer Stadt einbringen.